Angehörige im Justizvollzug

Angehörige wurden im Justizvollzug bisher kaum berücksichtigt. Alles drehte sich um die inhaftierte Person, unabhängig ihrer sozialen Systeme, in denen sie sich bewegt. Dabei kommt dem sozialen Umfeld eine wichtige Bedeutung zu.

Eine Inhaftierung hat in erster Linie für die betroffene Person schwerwiegende Folgen. Aber nicht nur: Die Angehörigen werden ebenfalls bestraft, sie tragen die Auswirkungen der Inhaftierung mit. Diese «zurückgebliebenen» Ehefrauen und -männer und besonders die Kinder gelangen zunehmend in den Fokus des Justizvollzugs. Oft werden sie auch die «vergessenen Opfer» genannt. Die Beziehungen zwischen inhaftierter Person und ihren Angehörigen sollen über die Zeit des Vollzugs weitergepflegt werden, beidseitig unterstützend und tragend sein, so dass die Wiedereingliederung nach dem Vollzug besser gelingen kann.

Konzept für Angehörigenarbeit im Justizvollzug

Im Verlauf des Berichtsjahrs hat sich die Geschäftsleitung des Amtes für Justizvollzug deshalb intensiv mit dem Thema der Angehörigen im Justizvollzug auseinandergesetzt. Dabei wurde die Geschäftsleitung durch den Verein Perspektive Angehörige und Justizvollzug unterstützt. Entstanden ist ein Katalog von Visionen und Ideen, die das Amt unter dem Titel «Justizvollzug ermöglicht Familie» anpacken und umsetzen möchte.

Ergebnis dieser Schwerpunktsetzung ist auch ein neues standardisiertes Eintrittsformular, welches durch das Amt für alle Vollzugseinrichtungen des Kantons (Regionalgefängnis Altstätten, Massnahmenzentrum Bitzi, Strafanstalt Saxerriet und die Polizeigefängnisse) erarbeitet worden ist. Das neue Eintrittsformular berücksichtigt die familiäre Situation und sieht vor, dass die nahestehenden Personen, Partnerinnen, Partner und Kinder systematisch erfasst werden. Mit dem neuen Formular starten die Vollzugseinrichtungen ab 1. Januar 2023.

Begleitung von Angehörigen bei Inhaftierung

Die Beziehung zu den Angehörigen gilt als elementarer Schutzfaktor innerhalb des Resozialisierungsprozesses.
Die Beziehung zu den Angehörigen gilt als elementarer Schutzfaktor innerhalb des Resozialisierungsprozesses.

Ebenfalls erarbeitete das Amt in Kooperation mit der Beratungsstelle für Familien sowie der Universität St.Gallen ein Konzept zur Begleitung von Angehörigen bei Inhaftierung. Angehörige sollen von der Beratungsstelle für Familien direkt nach der Inhaftierung eines Familienmitglieds und mit dessen Einwilligung kontaktiert und beraten werden dürfen. Im Rahmen des Projekts wird die Universität St.Gallen die Auswirkungen der Angehörigenarbeit evaluieren. Geht es den Angehörigen besser, wenn sie ein Beratungsangebot erhalten? Hat dies eine (positive) Auswirkung auf die inhaftierte Person? Und hat das letztlich einen Einfluss auf die Wiedereingliederung und die Verhinderung von Rückfällen? Das Pilotprojekt wird über zwei Jahre geführt und ab Ende 2024 ausgewertet.

Eine Stichtagserhebung der Insassenstatistik der Strafanstalt Saxerriet vom 30. September 2013 macht die Grösse des von der Inhaftierung betroffenen Beziehungsnetzes deutlich: Bei einem Insassenbestand von 123 Männern sind 24 verheiratet, 21 geschieden oder getrennt, 75 ledig und 3 verwitwet. Damit sind bei verheirateten Insassen je eine Ehefrau und im Durchschnitt zwei Kinder betroffen, bei den ledigen und getrennt lebenden Inhaftierten oftmals die neue Partnerin und bei den geschiedenen die leiblichen Kinder. Dazu kommen Eltern, Geschwister, Freunde und Bekannte des Insassen. Die Gesamtzahl der Personen in diesem Beziehungsnetz beläuft sich auf rund 400: Sie alle sind unmittelbar oder mittelbar von der Bestrafung des Täters betroffen.

Familien- und kinderfreundliche Besucherinnen- und Besucherräume

Besucherinnen- und Besucherräume in Institutionen des Freiheitsentzugs sind oft nicht familienfreundlich eingerichtet, sondern spartanisch gestaltet. Man kann sie sich als grossen Saal vorstellen, in welchem sich die inhaftierte Person mit ihren Angehörigen an einen Tisch setzen kann. Und dies tun viele Personen gleichzeitig, im selben Raum. Das hat sich nun geändert: Neu gibt es im Massnahmenzentrum Bitzi, in der Strafanstalt Saxerriet und im Regionalgefängnis Altstätten je einen Familien- und kinderfreundlichen Raum. In diesem dürfen die Insassen unter besonderen Voraussetzungen ihre Partner, Partnerinnen und Kinder treffen. Die Anpassung der Besuchszeiten führt ebenfalls zu einem familienfreundlicheren Justizvollzug. Ein wesentlicher Beitrag zur besseren Kontaktpflege leistet auch die Digitalisierung. Die Möglichkeit zur Videotelefonie wurde in allen Institutionen eingerichtet und wird für Kontakte zur Familie und zur Behörde genutzt.

Mit der Angehörigenarbeit im Justizvollzug hat das Sicherheits- und Justizdepartement das Schwerpunktziel 4: Chancengerechtigkeit sicherstellen / Strategie 24. Unterstützung gesellschaftliche Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen erfüllt.