Aus dem Alltag eines Finanzermittlers oder: Wie man tote Materie zum Leben erweckt
Als Finanzermittlerinnen und Finanzermittler führen wir keine eigenen Strafverfahren. Vielmehr zieht uns die Verfahrensleitung in grossen und komplexen Wirtschaftsstrafverfahren als Spezialistinnen und Spezialisten hinzu. Wir haben die Aufgabe, den relevanten Sachverhalt im Detail zu ermitteln, zu dokumentieren und noch offene Fragen zu beantworten.
Die auf Wirtschaftsdelikte spezialisierten Verfahrensleitungen des Kantonalen Untersuchungsamts greifen in erster Linie auf unser Know-how zurück. Fallweise werden wir auch zu Verfahren in den regionalen Untersuchungsämtern beigezogen oder übernehmen Ermittlungen für das benachbarte Appenzellerland.
Büroarbeit – aber nicht langweilig
Unsere Arbeit spielt sich hauptsächlich im Büro ab. Dabei widmen wir uns vorwiegend dem Studium der uns zugänglichen physischen und elektronischen Akten sowie der Aufbereitung und Analyse von Bankdaten. Wir ermitteln Geldflüsse, machen sie sichtbar und decken allfällige Firmenkonstrukte auf. Unsere Nachforschungen umfassen häufig Geldflüsse über mehrere Jahre mit mehreren Tausend Transaktionen. Daraus gewinnen wir Erkenntnisse, auf denen wir unsere Untersuchungsberichte aufbauen. Oft erhalten wir so auch eine Grundlage für einen Fragenkatalog für die Einvernahme von Beschuldigten und Auskunftspersonen. Bei den Einvernahmen sind wir in der Regel anwesend, denn vier Ohren hören mehr als zwei. Durch das intensive Aktenstudium verfügen wir über vertiefte Fallkenntnisse und erkennen Widersprüche zwischen den Aussagen und der Aktenlage.
Für unsere Ermittlungen sind wir häufig auf weitergehende Informationen angewiesen. Daher gehört die Herausgabe von Bank-, Steuer-, Handelsregister- und Grundbuchunterlagen praktisch zum Standard. Im Auftrag der Verfahrensleitung leiten wir die notwendigen Herausgaben in die Wege und begleiten zudem die polizeilichen Hausdurchsuchungen. So können wir vor Ort eine Triage vornehmen – mit dem Ziel, so viel wie nötig und so wenig wie möglich zu beschlagnahmen.
Unsere Arbeit gleicht ein wenig einem Puzzle: Auf der Suche nach dem kleinen fehlenden Teil behalten wir immer das grosse Bild im Auge.
Wie ein Puzzle
Kriminalistisches Gespür gepaart mit analytischem Vorgehen gehört unbedingt in den Rucksack einer Finanzermittlerin oder eines Finanzermittlers. Ebenso wichtig sind vernetztes Denken, ein gutes Verständnis für wirtschaftliche Abläufe und Zusammenhänge, betriebswirtschaftliche Kenntnisse, eine gute Portion Fitness im Finanz- und Rechnungswesen sowie Übung im Umgang mit unterstützenden IT-Tools. Alle zurzeit tätigen Finanzermittlerinnen und Finanzermittler besitzen einen kaufmännischen Background. Ausserdem bringen wir verschiedene Vorbildungen mit: Bank-Know-how, Polizei- und Treuhanderfahrung, Steuerspezialwissen und KMU-Finanzen-Bildung. All dieses Wissen haben wir uns in unterschiedlicher Ausprägung und in jahrelanger Tätigkeit in der Privatwirtschaft bzw. beim Staat erarbeitet.
Grosse Datenmengen und viele verschiedene Handlungsstränge sorgen oft für zusätzliche Komplexität in unseren Verfahren. Wir befinden uns deshalb täglich in einem Spannungsfeld: Einerseits gilt es, den Fokus auf das Wesentliche zu richten und uns nicht zu verzetteln. Andererseits müssen wir für allfällige weitere anrüchige Sachverhalte die Antennen stets auf Empfang halten. Unsere Arbeit gleicht ein wenig einem Puzzle: Auf der Suche nach dem kleinen fehlenden Teil behalten wir immer das grosse Bild im Auge. Aufgrund des Umfangs und der Komplexität von Wirtschaftsstrafverfahren erstrecken sich die Ermittlungen in der Regel über einen längeren Zeitraum. Wir benötigen daher ein gesundes Mass an Durchhaltevermögen.
Wir sind eine schlagkräftige Truppe.
Datenflut lebendig gestalten
Die Ergebnisse unserer Ermittlungen fassen wir in einem ausführlichen Bericht an die Verfahrensleitung zusammen. In komplexen Fällen haben die Berichte eine Länge von gut und gern hundert oder mehr Seiten. Stilsicherheit und klare Formulierungen sind daher gefragt. Schliesslich geht es darum, den komplexen Sachverhalt klar, verständlich und nachvollziehbar darzustellen sowie eine fundierte Grundlage für die rechtliche Bewertung zu liefern. Dies erfordert eine äusserst exakte Arbeitsweise. Wir müssen jeden Sachverhalt sauber dokumentieren und mit den entsprechenden Aktenstellen überprüfbar belegen.
Wir sind eine schlagkräftige Truppe. Unsere Rolle ist anspruchsvoll sowie vielschichtig. Zahlen und Daten in Geldflussanalysen, Buchhaltungsrekonstruktionen, Berechnungen von Überschuldungszeitpunkten und Vermögenssicherung, Bewertungsbeurteilungen zu Lagerbeständen, Unternehmenswerten und vielem mehr wirken auf den ersten Blick harmlos – bis wir sie zu lebendigen Sachverhalten zusammenfügen.