Aussergewöhnliche Todesfälle – der erste Blick kann trügen

Zu den Aufgaben der Staatsanwaltschaft zählt die Bearbeitung von aussergewöhnlichen Todesfällen (agT). Damit sind nicht nur Kapitalverbrechen gemeint oder Fälle, in denen eine Straftat nicht ausgeschlossen werden kann. Man spricht auch dann von agT, wenn ein Leichnam nicht eindeutig zu identifizieren oder der Tod nicht klar auf ein natürliches inneres Geschehen zurückzuführen ist.

In solchen Fällen wird die Staatsanwaltschaft informiert. Sie führt eine Legalinspektion durch, an der eine Amtsärztin bzw. ein Amtsarzt und die Polizei teilnehmen. Lässt sich der Todesfall nicht als natürlicher Tod erklären, ordnet die Staatsanwaltschaft eine Obduktion durch das Institut für Rechtsmedizin und/oder polizeiliche Ermittlungen an. Wie wichtig das seriöse Vorgehen nach einem agT ist, zeigen die folgenden Beispiele:

Kopfschuss in der Scheune
Ein Landwirt liegt tot in einer Scheune. Todesursache ist ein Kopfschuss, aber in unmittelbarer Nähe des Leichnams befindet sich keine Waffe. Der kriminaltechnische Dienst und das Institut für Rechtsmedizin werden vor Ort gerufen – wie bei Verdacht auf Kapitalverbrechen üblich. Die Spurensicherung macht sich ans Werk. Die ärztliche Erstbeurteilung läuft. An den Händen und am Oberkörper des Leichnams finden sich Schmauchspuren. Kopfwunde und Schussrichtung würden eine Selbsttötung plausibel erscheinen lassen. Aber wo ist die Waffe? Schliesslich findet sich an einer Wand der Scheune angelehnt ein Gewehr, aus dem erst kürzlich geschossen wurde. Der anwesende Waffenexperte erklärt, dass es durch den Rückschlag bei der Schussabgabe zu einer derartigen Ortsverlagerung des Gewehrs kommen kann. Es handele sich um einen makabren, aber logisch erklärbaren Zufall, dass die Schusswaffe aufrecht hingestellt, wie «versorgt», am Fundort gelandet sei. Fazit: Suizid durch Erschiessen. Die Leiche wurde freigegeben.

Leiche am Fuss der Treppe
Eine Notfallmeldung geht ein. Am Fuss einer steilen Treppe im Inneren eines Hauses ist eine tödlich verletzte Frau aufgefunden worden. Scheinbar ein tödlicher Sturz, also ein Unfall. Der Amtsarzt vor Ort stellt Verletzungen fest, die sich nicht auf den ersten Blick mit einem Sturz vereinbaren lassen. Der Leichnam wird zur Obduktion ins Institut für Rechtsmedizin verbracht. Die Spurensicherung wird aufgeboten. Die polizeilichen Ermittlungen ergeben diverse Vorfälle häuslicher Gewalt in der jüngeren Vergangenheit und ein eigenartiges Verhalten des Ehemanns, der in der Folge festgenommen wird. Fazit: Verdacht auf Kapitalverbrechen, Strafverfahren wegen vorsätzlicher Tötung bzw. Mord.

Sturz von der Brücke
Ein 20-jähriger Mann stürzt von einer Brücke und stirbt. Nach der Legalinspektion – ärztliche Leichenschau, polizeiliche Abklärungen und Einschätzung der Auffindesituation – ist rasch klar, dass es sich um einen Suizid handelt. Die Angehörigen des jungen Mannes wollen dies jedoch nicht glauben. Daher wird ein Strafverfahren gegen unbekannte Täterschaft wegen Verdachts auf ein Tötungsdelikt eröffnet. Auch die angeordnete Obduktion lässt keine Hinweise auf ein Drittverschulden erkennen. Es finden sich keinerlei körperliche Anzeichen für eine Gewaltanwendung vor dem Sturz und der toxikologische Befund ergibt keine Drogen, Medikamente oder sonstigen sedierenden Stoffe. Dennoch werden weitreichende Befragungen im Umfeld des Toten gemacht. Die Ermittlungen zur gesamten Situation verdichten immer mehr das Bild einer tiefen Depression, in der sich der junge Mann befand und aus der er keinen anderen Ausweg mehr sah. Die Staatsanwaltschaft stellt das Strafverfahren ein. Die Angehörigen ergreifen Rechtsmittel. Sogar das Bundesgericht setzt sich mit dem Sachverhalt und den ermittelten Beweisen auseinander. Abschliessend hält es fest, dass keinerlei Verdachtsmomente wegen eines Drittverschuldens vorlagen und das Verfahren zurecht eingestellt wurde. Fazit: Zwar lag ein Suizid vor, aber die langwierige Strafuntersuchung war angezeigt, um auch die letzten Zweifel der Angehörigen auszuräumen.