Gemeingefährlichkeit im Fokus

Die konkordatliche Fachkommission beurteilt die Gemeingefährlichkeit von Straftäterinnen und Straftätern, wenn weitreichende Vollzugslockerungen im Straf- oder Massnahmenvollzug gewährt werden sollen. Ihr gehören auch Mitarbeitende aus dem Sicherheits- und Justizdepartement an.

Begehen Straftäterinnen und Straftäter anlässlich von Lockerungen im Straf- oder Massnahmenvollzug erneut gravierende Straftaten, ist die Welle der Empörung hoch. Dann stellt sich die Frage nach der Verantwortlichkeit. Klar ist: Die Sicherheit der Gesellschaft vor gemeingefährlichen Straftäterinnen und -tätern hat höchste Priorität. Sie gilt es zu gewährleisten. Doch der Ruf nach absoluter Sicherheit ist das Eine, abwägend rechtsstaatlichen Prinzipien folgend zu entscheiden, das Andere. Die Beurteilung der Gemeingefährlichkeit steht daher im Spannungsfeld zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft und dem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch der inhaftierten Person auf Resozialisierung. Auch die Gesellschaft hat ein vitales Interesse daran, dass Straftäter nicht unvorbereitet in Freiheit entlassen werden.

Interdisziplinäre Zusammensetzung als Stärke

Vor weitreichenden Vollzugslockerungen wird daher die Fachkommission angehört. Dieses interdisziplinär zusammengesetzte Gremium besteht aus 16 Vertretenden der Strafverfolgungs- und Justizvollzugsbehörden sowie der Psychiatrie aus mehreren Kantonen. Präsident der Kommission ist seit 2022 Dr. Peter Straub, Leitender Staatsanwalt im Kanton St.Gallen. Weitere St.Galler Mitglieder sind Dr. med. Christiane Thomas-Hund, Chefärztin in der Psychiatrie St.Gallen, Dr. Claudio Vannini, Direktor des Massnahmenzentrums Bitzi, und Staatsanwältin Virginie Chau.  

Mit der gebotenen Distanz und der Optik von nicht direkt involvierten Expertinnen und Experten gelingt es der Fachkommission, eine fundierte Beurteilung der Gemeingefährlichkeit vorzunehmen.

Die Inanspruchnahme der Fachkommission soll sich auf schwierige Grenzentscheidungen, bei denen eine unabhängige Zweitmeinung notwendig ist, beschränken. Ihr Beizug schafft so einen Mehrwert im Abwägungsprozess zwischen Resozialisierung und dem Schutz vor gemeingefährlichen Straftäterinnen und Straftätern.

Wie arbeitet die Fachkommission?

Die Fachkommission beurteilt auf Antrag des für den Vollzug zuständigen Kantons die Gemeingefährlichkeit von Straftäterinnen und Straftätern. Hierbei handelt es sich beinahe ausnahmslos um Personen, die psychiatrisch teils mehrfach begutachtet wurden und sich im Straf- oder Massnahmenvollzug oder in der Verwahrung befinden. Jedes Jahr beurteilt die Fachkommission in durchschnittlich 70 Fällen die Gemeingefährlichkeit von Personen. Beinahe jedes in den Medien thematisierte kapitale Verbrechen landet früher oder später auf dem Tisch der Fachkommission. Schwerpunktmässig geht es um Delikte gegen Leib und Leben sowie um schwere und schwerste Sexualstraftaten.

Entsprechend hoch ist die gesellschaftspolitische Verantwortung. Gerade bei langjährigem Freiheitsentzug besteht ein öffentliches Interesse, dass die im Vollzug erzielten Therapieerfolge schrittweise erprobt werden. Die Fachkommission entscheidet daher nicht abstrakte, sondern konkrete Fragestellungen, wobei in der Folge auch kantonale Obergerichte und das Bundesgericht den Entscheid der Fachkommission mitberücksichtigen. Für die Vollzugsbehörde ist der Entscheid indes nicht bindend, jedoch durchaus wegleitend. In ihrer Stellungnahme geht die Fachkommission zunächst auf die Biografie, die Anlasstat und das Strafverfahren ein. Die psychiatrische Begutachtung, der Therapieverlauf sowie das Vollzugsverhalten werden eingehend bewertet. Es folgt eine Gemeingefährlichkeitsanalyse basierend auf einem anerkannten Instrumentarium der forensischen Psychiatrie. Abschliessend nimmt die Fachkommission eine Gesamtbeurteilung der Gemeingefährlichkeit unter Einbezug aller prognostisch positiv oder negativ zu gewichtenden Umstände vor. Diese werden in der Sitzung der Fachkommission diskutiert. Ausgehend von dieser Beratung wird die beantragte Vollzugslockerung befürwortet oder abgelehnt.