Trotz Digitalisierung bleiben physische Medien wichtig
Das Staatsarchiv hat seine Online-Angebote stark ausgebaut. Auch in der neuen Bibliotheksstrategie sind digitale Dienstleistungen ein wichtiges Element. Trotzdem bleiben die neuen baulichen Lösungen notwendig.
Ein Schwerpunktziel der Regierung lautet «Digitalen Wandel gestalten». Die entsprechenden Ziele stehen auch im Staatsarchiv im Zentrum. Wer digital archiviert, analoges Archivgut digitalisiert und weiterhin einen Lesesaal vor Ort betreibt, braucht einen digitalen Lesesaal – zumindest, wenn es sich hierbei um ein öffentliches Archiv wie das Staatsarchiv des Kantons St.Gallen handelt. Das waren die Prämissen, als vor rund zehn Jahren die ersten Überlegungen hinsichtlich eines digitalen Lesesaals in den Staatsarchiven Basel-Stadt und St.Gallen gemacht wurden.
400'000 Datensätze online abrufbar
Daraus entwickelte sich ein gemeinsames Projekt, das sich seit dem Jahr 2020 in der Realisierung befindet. Im November 2022 konnte der Digitale Lesesaal offiziell eröffnet werden. Derzeit sind zirka 400'000 von insgesamt fast 900'000 Datensätzen online frei abrufbar. Der Rest ist aus Gründen des Datenschutzes für eine gewisse Zeit noch nicht öffentlich. Interessierte Personen können Verzeichnisse zu Urkunden, Akten, historischen Fotografien, Postkarten sowie Karten und Plänen im Netz recherchieren.
Je mehr Dokumente nachträglich digitalisiert und je mehr elektronische Akten aus Behörden und Dienststellen abgeliefert werden, desto stärker kann der Digitale Lesesaal seinen Mehrwert entfalten.
Vorlage für ein neues Staatsarchiv
Im Mai 2022 bestand die Vorlage für ein neues Staatsarchiv mit einem Ja-Stimmenanteil von fast 72 Prozent erfolgreich die kantonale Volksabstimmung. Am Standort des heutigen Studienzentrums Waldau der Fachhochschule OST im St.Galler Lachenquartier wird das Staatsarchiv, derzeit verteilt auf drei Standorte, konzentriert werden. Vor allem aber wird das «Gedächtnis des Kantons» dort deutlich mehr Raum für fachgerechte Magazine, Werkstätten und die Vermittlungsarbeit erhalten. Voraussichtlicher Bezugstermin ist im Jahr 2028. Das Archiv ist seit einiger Zeit daran, einzelne Bestände, die bisher nicht fachgerecht verpackt waren, in säurefreie Behältnisse einzuschachteln. Dies auch im Sinne der Umzugsvorbereitung.
Revision der kantonalen Bibliotheksstrategie
Die Herausforderungen, mit denen die Kantonsbibliothek Vadiana 2022 konfrontiert war, sind ähnlich wie im Archivwesen. Sie reichen vom Realisieren verschiedener grosser Projekte wie der neuen Bibliothek, der Digitalisierung des St.Galler Tagblatts oder die anstehende Ablösung des Bibliothekssystems für die Bibliotheken im Kanton bis hin zu einer im ganzen Medienbereich. Die zentrale Frage ist: Wie verändern sich die Bedürfnisse und Interessen der Nutzerinnen und Nutzer?
Diese Aspekte wurden auch bei der Neuformulierung der kantonalen Bibliotheksstrategie durch die Bibliothekskommission diskutiert (Zeitraum 2023–2026). Zum Entwurf wurde im Jahr 2022 eine Vernehmlassung durchgeführt. Die Strategie sorgt mit der Fortführung der bisherigen Stossrichtungen für Kontinuität. Neu jedoch werden gesellschaftlich relevante Themen und neue Trends in drei Handlungsfeldern aufgenommen:
- Bibliotheken als analoge Orte im digitalen Zeitalter
- Bibliotheken als Orte der Diversität, Teilhabe und Inklusion
- Bibliotheken als Bildungspartnerinnen
Damit können die 46 Gemeindebibliotheken, 200 Schulbibliotheken, Spezialbibliotheken, Hochschulbibliotheken sowie die Kantonsbibliothek Vadiana wichtige Beiträge für die Gesellschaft leisten und tragen auch dazu bei, das Schwerpunktziel Chancengerechtigkeit zu erreichen.
Wesentlich war auch die Fortsetzung der Projektarbeiten für die neue Bibliothek. Der Zusammenschluss der Kantonsbibliothek und der Stadtbibliothek St.Gallen am Standort Union/Blumenmarkt wird der Bevölkerung von Kanton und Stadt St.Gallen ein zeitgemässes Bibliotheksangebot zur Verfügung stellen und wirkt der Aufsplitterung des Bibliothekswesens in der Kantonshauptstadt entgegen. Die neue Bibliothek soll nach heutiger Planung 2028/2029 eröffnet werden.
Die kantonale Bibliotheksstrategie richtet sich an rund 250 Bibliotheken im Kanton.
Interview mit Stefan Gemperli, Staatsarchivar
Mit dem Digitalen Lesesaal bietet das Staatsarchiv nun ein umfassendes Angebot für Internet-Abfragen an. Wer wird künftig noch in den physischen Lesesaal kommen?
Im Wesentlichen handelt es sich beim Digitalen Lesesaal um einen Service, der die vorhandenen Dienstleistungen erweitert und verbessert. Die Nutzenden können auch in Zukunft analoge Originale vor Ort im Lesesaal konsultieren. Das Recherchieren und Bestellen erfolgt aber im Digitalen Lesesaal. Andere Benutzende werden ihre Bedürfnisse hingegen vollauf durch die Möglichkeiten des Digitalen Lesesaals befriedigt sehen. Das gesamte Archivgut wird sich aber nie vollkommen digitalisieren lassen.
Bestehende Bestände werden zunehmend digitalisiert, die Aktenführung in der Gesamtverwaltung erfolgt immer mehr digital. Kann man dadurch nicht auch rein baulich Archivfläche einsparen?
Es ist durchaus möglich, dass die Archive irgendwann nur noch digitale Ablieferungen übernehmen müssen. Noch ist es nicht so. Ausserdem treffen bei uns die meisten Unterlagen mit zeitlicher Verzögerung ein. Das heisst: Wir sind und werden noch über einen längeren Zeitraum mit umfangreichen analogen Ablieferungen konfrontiert sein.
Hat man den Aspekt der Digitalisierung beim Projekt für das neue Staatsarchiv berücksichtigt?
Ja. Der Raumbedarf für die Aufnahme neuer Ablieferungen wird mittelfristig abnehmen.
Das kantonale Staatsarchiv arbeitet schon seit mehreren Jahren auf die Digitalisierung hin. Wie ist die Situation bei den Gemeinden?
Die Digitalisierung ist auch bei den Gemeinden ein grosses Thema. Somit stellt sich auch dort die Frage, wie digital erzeugte Unterlagen langfristig archiviert werden können. Ob das Staatsarchiv hier eine Rolle als Dienstleister für die Gemeinden übernehmen soll und kann, wird aktuell im Rahmen eines E-Gov-Projekts geprüft.
Aber Hand aufs Herz: Geht mit der zunehmenden Digitalisierung für die Geschichtswissenschaft nicht auch ein gewisser Reiz verloren?
Eine gewisse Gefahr besteht. Darum tun wir ja auch alles dafür, dass «reizvolle» Originale wie gesiegelte Urkunden, gezeichnete Pläne von Flüssen, Landschaften oder Gebäuden oder Fotografien etwa aus dem vorletzten Jahrhundert möglichst im Original erhalten und der Geschichtswissenschaft und anderen Interessierten zugänglich bleiben. Digitalisate helfen uns, Originale zu schützen und, wenn auch als Abbilder, einem grösseren Kreis bekannt und zugänglich zu machen.
Stiftsarchiv
Auch im Stiftsarchiv ist eine weitere Digitalisierung der Bestände in Vorbereitung. Weiterhin prägen aber Publikationen und Ausstellungen die Vermittlungstätigkeit. Das Stiftsarchiv dokumentiert in seiner Publikationsreihe «vvaldo» die kulturelle Ausstrahlung der ehemaligen Fürstbtei St.Gallen im heutigen Kanton St.Gallen und weit darüber hinaus. Das Inventar zur klösterlichen Teichwirtschaft ist 2022 bereits in zweiter Auflage erschienen. Eine umfassende kunst- und kulturhistorische Sammlung zum heiligen Eusebius von Viktorsberg, einem in Vergessenheit geratenen St.Galler Klosterheiligen, wurde zur Druckreife gebracht. Dokumentationen zu weiteren Themenbereichen der Kultur, Wirtschafts-und Baugeschichte sowie zur politischen Organisation der Fürstabtei St.Gallen sind in Arbeit.
Die Erkenntnisse aus den Inventarisierungsarbeiten fliessen direkt in die museale Inszenierung im Hof zu Wil ein, die das Stiftsarchiv aktuell erarbeitet. Im Rahmen der dritten Bauetappe Hof zu Wil konzipiert das Stiftsarchiv eine Ausstellung, die insbesondere die weltliche Macht der St.Galler Fürstäbte, die den Hof zu Wil als wichtiges Verwaltungszentrum und als Nebenresidenz nutzten, näher beleuchten wird.